Adieu Mädchenlachen!

Sie nehmen Abschied, werden nicht vergessen
Die Wege, die sie jetzt gehn – du und ich,
Zwei Lächeln nur, mit denen sich
Apokalyptische Gesichte messen.

O fälschte doch mein sicheres Gesicht!
Die Furcht läuft in die Zukunft und sieht mutig,
Da liegst du, abgeküßt und schenkelblutig:
– Mein Hirn bellt auf – brautnackt im Ampellicht.

Die Schmerzen beißen sich in das Hirn hinein.
Was martert, mordet nicht mein wilder Freisinn!
O meine Mutter, weißhändige Greisin,
Nimm mich zurück ins Nichtgeborensein!

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)


Adieu, sourires de jeunes filles!

Ils se séparent, ne pourront oublier
Les chemins qu’ils suivent  à l’instant.
Toi et moi, deux sourires seulement
Aux visions d’apocalypse mesurées.

Ô si seulelement se trompait ce que sûrement je sens !
L’effroi court dans l’avenir avec courage.
Tu gis là, écrasée de baisers, les cuisses pleines de sang :
Mon cerveau aboie; épousée sous l’éclairage.

Les dents des douleurs dans le cerveau plantées,
Ce qu’il ne torture pas, tue pas, mon sauvage esprit libertin !
Ô ma mère, aieule aux blanches mains,
Ramène-moi où je n’étais pas né !

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

Proserpina

Einsamer Pluto trage ich im Blute
Proserpina, nackend, mit blonden Haaren.
Unauslöschbar. Ich will mich mit ihr paaren,
Die ich in allem hellen Weib vermute.

Ich bin von ihren Armen lichtgefleckt
Im Rücken! Ihre Knie sind nervös,
Die Schenkel weiß, fleischsträhnig, ein Erlös
Des weißen Tages, der die Erde deckt.

In ihrem Haar bleibt etwas vom Verwehten
Des warmes Bluts. Ich liebe den Geruch!
Und nur die Zähne haben zuviel Fades,

Wie ein Schulmädchen, sooft sie in den Bruch,
Den Brunnen ihres Frauenmundes treten,
Der meine Brünste tränkt – Herden des Hades.

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

Erläuterungen:

Proserpina. Lateinischer Name der griechischen Göttin Persephone.

Pluto. Aus der griechischen Mythologie stammend: Beiname des Gottes Hades; Gott des Reichtums und des Überflusses | Der heute als Zwergplanet bezeichnete Himmelkörper Pluto wurde erst 1930 entdeckt.

Guten Tag – helle Eva!

Ich wollte mit dir jungem Weibe leben
Gern wie der Sturm auf einem hellen Meer,
Daß deine Hände sich wie Möwen heben.
Wie Strudel leuchten deine Brüste sehr.

Dein Fleisch ist Schnee, und schneereich bist du wie
Russische Winter. Mondrot leuchtet, blond,
Dein Haarkorb an des Nackens Horizont –
Du nackend Weib, du weiße Therapie!

Lange behielt ich deine Witterung
Und jagte hitzig hinter Dirnenrudeln,
Lustkrank, von Qual beweht. Doch du bliebst jung.

Auf deinen Rippen kreisen weiße Strudel;
Du bist ein Weib geworden – puh – fruchtbar,
Du blanker Bauch voll Blut und krautigem Haar.

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

Nordwind im Sommer

Vom Meere duftend fliegt der Wind ins Land.
Die dunklen Parke flattern in der Brise.
Kleehügel blühen vor dem Duft der Wiese;
Der Himmel steht, sich selber unbekannt,

Ein weißer Fischer in den Roggenmeeren,
Wo Taubenflug aufspritzt, ein Wasserstrahl,
Wo Wolkenschatten rinnen in das Tal,
Fliegende Fische sind – die Roggenähren.

Der Weißklee schmeißt den Junitag zur Seite,
Und manchmal fliegen Reiher um den stummen,
Fischlosen See, auf dem die Bienen summen,
Und nehmen zögernd ihren Flug ins Weite.

Ich galoppiere vor dem Sonnenschein,
Auf weißem Pferde flatternd, Wind geworden,
Und Sonnenfetzen um den Hals, nach Norden.
Ich werde mittags an dem Meere sein.

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)


North Wind in the Summer

Sea-scented wind flies up into the land.
The darkened parklands flutter in the breeze.
And clover hills breathe meadow’s fragrancies.
The sky, unconscious of its act, now stands,

A pale-white angler in a sea of rye,
Where aqua-jets arise as flights of doves,
Where clouds run into valleys from above
The rye—whose heads bend like those fish that fly.

White clover shoves this day in June aside.
At times, some herons fly about the dumb
And muted lake devoid of fish. Bees hum
Above its face, then leave in listless flight.

I gallop under sun on my white steed,
And floating, so become the northward wind.
With shreds of sun about my neck, I wend
My way. By noon, I will have reached the sea.

Lyrics by Paul Boldt in English Translation
by Daniel J. Webster

Das Wiedersehen

Wie warnend leuchten schwarze Fensterscheiben.
Mystische Telefone knacken, knacken -:
Dastehst du nahe mit beweinten Backen,
Plastik aus Rauch.
Ich drehe angstvoll mein Gesicht zum Nacken
Und steige zitternd aus aus euren Häusern.

Sind das die Häuser? Ist die Nacht aus Stein?
Ich mache langsam Schritte in Berlin.
Kein Mensch. Herabgestürzte Jalousien.
Ich habe keinen Wunsch, einer zu sein.

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

Weichsel

Ein Thema: Weichsel; blutsüßes Erinnern!
Der Strom bei Kulm verwildert in dem Bett.
Ein Mädchen, läuft mein Segel aufs Parkett
Aus Wellen, glänzend, unabsehbar, zinnern.

In Obertertia. Julitage flammen,
Bis du den Leib in helle Wellen scharrst.
Die Otter floh; mein weißes Lachen barst
Zwischen den Weiden, wo die Strudel schwammen.

Russische Flöße in den Abend ragend.
Die fremden Weiber, die am Feuer sitzen,
Bewirten mich: Schnaps und gestohlener Speck.

Wir ankern und die Alten bleiben weg.
Die Völlerei. Aus grausamen Antlitzen
Blitzt unser Blick, ins Weiberlachen schlagend.

 

JP JP 3

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

Erläuterungen:
Kulm.  Stadt an der Weichsel in der Nähe des Geburtsorts von Paul Boldt


The Vistula

A theme: this River; blood-sweet memory!
At Kulm, it goes back to its savage roar.
My sail—a girl—spreads on a parquet floor
Of pewter waves that shine immeasurably.

My fifteenth year. July bursts into flames
Of hell-bright waves, in which your body’s immersed.
The viper’s flown; my whitened laughter bursts
Among green fields where currents flowed, untamed.

Some Russian rafts then pierce the end of day.
And unknown women sit by campfires there,
Their schnapps and stolen bacon mine for the taking.

We anchor while the old ones stay away.
We gorge upon each other, but fiercely stare
At this: the sound of women’s laughter breaking.

(Comment: The Vistula is a major river running through
what was the West Prussian  countryside of Paul Boldt’s youth.
It is in present-day Poland. And Kulm,  mentioned in line two, is
the German name for what is now the Polish city of  Chelmno.)

Lyrics by Paul Boldt in English Translation
by Daniel J. Webster

Das Gespenst

Wie weiß der Sommer ist! Wie Menschenlachen,
Das alle Tage in der Stadt verschwenden.
Häuserspaliere wachsen hoch zu Wänden
Und Wolkenfelsen, die mich kleiner machen.

In tausend Straßen liege ich begraben.
Ich folge dir stets ohne mich zu wenden.
O hielte ich dein Antlitz in den Händen,
Das meine kranken Augen vor sich haben.

Ich küßte es. Es küßte mich im Bette -:
– Versprich, daß du mich morgen nicht mehr kennst!
– Bist du nachts fleischern und ein Taggespenst?

– Du locktest es ins Netz deiner Sonette.
– Junger Polyp, dein Mund ist eine Klette.
– Er wird dich beißen, wenn du ihn so nennst.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Erstveröffentlichung:
„Junge Pferde! Junge Pferde!“ (1914)

Der Frauentod

Der Tod umarmt mich in den warmen Frauen.
Beischlaf erregt, zersetzt die Moleküle.
Ich wandre durch Provinzen der Gefühle
Der Freude ab und komme in das Grauen.

Dich, Dirne, macht die Nacktheit antlitzschön.
Heiliges Fleisch steht auf den Knien im Haar.
Ich liege bei dir, lächelnd, am Altar,
Dem Tod entrückt auf deiner Brüste Höhen.

Aber nach Umarmungen, nach allem
Durchscheinen jedes Fleisch die hellen Knochen.
Die Muskeln schimmern am Skelett, zerfallen.

Ich sterbe. Niemand hat zu mir gesprochen.
Irrsinnig lasse ich mich sagen, lallen,
Und fühle dich vor Blut und Brüsten kochen.

Erstveröffentlichung:
Die Aktion Bd. 4, Jg. 1914, Nr. 1 (3. Jan)


La mort-femme

La mort m’enlace dans les femmes ardentes.
L’accouplement dissout les cellules violemment.
Je parcours des provinces de sentiments
Joyeux et tombe dans l’épouvante.

La nudité te rend belle, tout visage, catin.
Chair sainte à genoux dans la chevelure.
Je reste au pied de ton autel, tout sourire,
Échappé de la mort au sommet de tes seins.

Mais après l’étreinte, toute chair
Enfin, laisse transparaître les os clairs,
Les muscles luisent sur le squelette, désagrégés.

Je meurs, personne ne m’a parlé. Rien.
Égaré, je laisse les mots sortir de moi, me balbutier,
Et je te sens écumer de sang, de seins.

© 2005-11 Eberhard Scheiffele (Traductions de 22 poèmes de Paul Boldt)

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